Vertrieb in Coronazeiten
Herr Stöckl, ein Jahr Pandemie liegt hinter Ihnen. Wie geht’s Ihnen?
Robert Stöckl: Danke, gut. Es hat sich alles verändert. Früher war ich 170 bis 190 Tage im Jahr hauptsächlich im Ausland unterwegs. Seit Pandemiebeginn war ich einmal in Frankreich und in München. Ich musste mich komplett umstellen und nun mein Team virtuell bei Laune halten – sprich, die Mitarbeitenden per Webmeetings und Telefonkonferenzen motivieren und coachen.
Wie läuft das Geschäft nun nach diesem herausfordernden Jahr?
Als im März vor einem Jahr der erste Lockdown eintrat, wurde es bis Ende Mai sehr ruhig. Das letzte Quartal 2020 war dann zwar stark, das gute Jahresende konnte jedoch nicht alles aufholen. Aber im Vergleich zu anderen Unternehmen geht es uns gut. Wir hatten auch keine Probleme mit der Liquidität. Wir sind bisher gut durch die Pandemie gekommen und sparen bei Reisen, Messen und durch Kurzarbeit. Zufrieden kann ich allerdings nicht sein, da ich sehr hohe Vertriebsziele für 2020 hatte. Die mussten wir pandemiebedingt leider zurückstellen.
EWM hat 2019 kräftig in den Vertrieb investiert und dabei auch im Bereich Personal aufgestockt. Wie hat sich das in der Krise ausgewirkt?
Dies hat sich äußerst positiv ausgewirkt. Denn unser Ziel war auch, damit unseren Kundenservice effektiv zu gestalten, die Lieferfähigkeit zu beschleunigen, die Nähe zum Kunden zu verbessern und die Neuentwicklungen zu beschleunigen. Außerdem wollten wir unsere Lagerkapazität ausbauen. Das haben unsere Kunden in der Pandemie erwartet und honoriert. Es war richtig, trotz Pandemie mit gleicher Geschwindigkeit weiter zu entwickeln.
Welche Herausforderungen hat der erste große Lockdown mit sich geführt?
Wir mussten sofort und international umstellen: Technik für das Homeoffice anschaffen, virtuelle Meetings einrichten, Kurzarbeit umsetzen. In Deutschland war das alles überschaubar. Die Herausforderung war, alle anderen Länder zu koordinieren. Italien und Frankreich sind ja unsere größten Märkte. Es war äußerst schwierig, den regionalen Gesetzen gerecht zu werden. Selbst in Deutschland gab es regionale Unterschiede. Im Süden gab es kaum „Brot-und-Butter-Aufträge“, dafür viel Projektgeschäft.
Und wie sah es im Norden aus?
Dort wiederum fehlten spezielle Projekte, und das Normalgeschäft lief besser. Alle Kunden mussten erst einmal lernen, mit der Situation umzugehen. Wir müssen in unserer Fertigung durcharbeiten, damit wir lieferfähig sind. Auch unser Geschäft mit Service und Reparatur lief weiter: Die Kunden haben weniger in neue Geräte investiert und stattdessen eher ältere beziehungsweise bis dato wenig genutzte Geräte warten und reparieren lassen.
Wo liegen gerade die größten Probleme Ihrer Mitarbeiter im täglichen Geschäft?
Durch die ungewisse Zukunft brauchen die Kunden länger, um Entscheidungen zu treffen. Oft entscheiden sie sich dann doch unerwartet kurzfristig – und alles muss extrem zügig geliefert werden. Die Preissensibilität ist außerdem gestiegen. Durch die geringere Nachfrage sind einige Wettbewerber im Markt sehr günstig geworden. EWM bietet schon immer faire und realistische Preise an: Wir müssen die im Markt nach unten gerichtete Preisspirale nicht mitgehen und haben daher auch nichts verloren. Mit die größten Probleme sind drohende Zahlungsausfälle – Händler haben häufig kein finanzielles Polster und somit wenig monetären Spielraum, wenn der Umsatz ausbleibt. Durch unseren zweistufigen Vertrieb müssen wir vieles vorfinanzieren, und es dauert eine Weile, bis die Unkosten sich amortisieren und bezahlt sind. Und natürlich können wir weniger Kundenbesuche machen, wodurch der persönliche Kontakt und direkte Verkaufsgespräche fehlen.
Gutes Stichwort. Kann man Schweißtechnik überhaupt virtuell vertreiben?
Neukunden wollen das Produkt in den meisten Fällen testen, sie wollen schweißen. Es ist wie die Probefahrt beim Autokauf. Look and Feel sind ausschlaggebend. Man muss auch die Bedienelemente erklären. Ausschließlich digitaler Vertrieb ist für uns nicht möglich. Daher ist persönliche Präsenz im Vertrieb von Lichtbogenschweißtechnik notwendig. Ein Vertrauensbonus durch vorhandene Erfahrungen auf Kundenseite ist wichtig. Referenzen und das Image helfen bei Neukunden. Interessant ist, dass wir zurzeit viele Anfragen digital erhalten statt wie üblich. Das sind Leads, die wir früher nicht hatten, sondern erst erarbeiten mussten.
Gerade wackeln pandemiebedingt Lieferketten. Knapp sind unter anderem Stahl und Mikroelektronik. Merken Sie das, und gibt es Strategien, Engpässe durch gezielten Vertrieb auszugleichen?
Ja, das merken wir fast täglich. Die Verknappung speziell von Stahl und Mikroelektronik hat zu immer neuen und substanziellen Preissteigerungen geführt. Wir versuchen, unsere Lieferfähigkeit durch längerfristige Verträge mit garantierten erhöhten Abnahmemengen so weit wie möglich abzusichern. Kunden benötigen Schweißgeräte für bestimmte Aufgaben. Daher gibt es sehr wenig Spielraum, lieferbedingt Alternativen anzubieten.
Kann EWM weiter alle Produkte fertigen?
Wir können bislang alles produzieren, lediglich die Lieferzeiten haben sich erhöht – aber nicht dramatisch. Es ist nur insofern etwas problematisch, weil Kunden die Entscheidung gerade bis zum letzten Augenblick zurückhalten. Dann wollen sie das Gerät aber sofort haben. Wir sind weltweit tätig und können da ein bisschen jonglieren. Also Mengen von einem Kunden – bei dem die Lieferzeit nicht vorrangig ist – umdisponieren und einem dringenden Auftrag zuordnen. Das ist ein logistischer Mehraufwand, den wir im Kundeninteresse gerne auf uns nehmen.
Im Vertrieb sind Kontakte maßgeblich. Wie blicken sie auf die Pandemie-Maßnahmen der Bundesregierung?
Es ist schwierig, „das Richtig oder Falsch“ im Vorfeld zu definieren. Man muss aber stets aus Erfahrungen lernen und Vorgehensweisen anpassen. Würden Unternehmen im Einkauf, bei der Planung und im Vertrieb so handeln wie unsere Politik es bei Masken, Impfungen und Tests getan hat, müssten die Unternehmen schließen und wären nicht überlebensfähig. Die Organisation ist nichts Anderes als Einkauf, Planung und Vertrieb, was wir täglich machen.
Was wünschen Sie sich grundsätzlich von der Politik?
Wir wollen bei der Industrie 4.0 vorne sein in Deutschland, aber uns fehlt einiges an der Basis. Zum Beispiel haben Kunden oft bei Webkonferenzen keine gute Verbindung. Das geht nicht! Wir brauchen für alle Breitbandverbindungen. Zudem müssen die internen Infrastrukturen besser werden, beispielsweise Netzwerk- und Datenbankstrukturen standardisiert werden. Viele Unternehmen wissen nicht, welche Schritte notwendig sind oder haben keine Ressourcen, diese umzusetzen.
Wird virtueller Vertrieb für EWM auch „nach Corona“ Bestand haben?
Selbstverständlich, die Krise hat uns neue Wege und Möglichkeiten aufgezeigt. Videokonferenzen waren vorher kaum denkbar, und Präsenz beim Kunden war in jedem Fall erwünscht. Viele haben den Aufwand für Videokonferenzen und deren Wirkung gescheut. Kunden wie Lieferanten haben den Umgang damit und deren Vorteile erst „erfahren“ müssen und daraus gelernt. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht mehr eins zu eins wie vor Corona wird. Es wird eine gute Mischung zwischen realem und virtuellem Vertrieb geben.
Wie wirkt sich der Ausfall der wichtigen Messen auf Ihre Absatzziele aus?
Das ist sehr schwer zu messen. In der Schweißtechnik gibt es keine klassischen Abschlussmessen beziehungsweise Verkaufsmessen. Absatzziele sind somit in unserer Branche nur bedingt von Messen abhängig. Die Internationalität der Messe „Schweissen & Schneiden 2021“ wird uns als Bühne fehlen, um unsere Produkte zu präsentieren. Daher hoffe ich sehr, dass diese verschoben wird, um nicht in die „Unbekanntheit“ als kleine regionale Messe zu driften.
Können digitale Messen Abhilfe schaffen?
Nur bedingt in unserem Bereich. Das eine ersetzt das andere nicht. Die physische Messefrequenz muss abnehmen. Wir haben durch die Pandemie gelernt, dass es auch mit weniger physischer Präsenz geht. Lieber wenige, aber dafür gute Messen mit qualifizierten Fachbesuchern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Stand: 23. März 2021
Umfang: 8.052 Zeichen inklusive Leerzeichen
Abbildungen: 1